Montag, 4. Januar 2021

Aufbackbrot

Es erwartet Sie im Folgenden ein hochgelobtes Meisterwerk der mehrfachen Literaturnobelpreisträgerin Karo Kolumbus.
Besonders hervorzuheben ist hierbei, wie der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten und unsere selbst erschaffene Realität in Gänze hinterfragt wird. Ein Werk, das Fragen aufwirft und uns einen Blick werfen lässt auf die Absurdität dessen, was uns so selbstverständlich scheint. Und das in einer Kürze und Brillanz, die von anderen Autoren unerreicht bleibt.
Eine Geschichte, so voll Tiefgründigkeit und doch aus dem Leben gegriffen - denn all das hat sich in der Hamburger Hochbahn tatsächlich so zugetragen.



„Vielleicht sollten wir sie noch mal fragen“, sagt die Frau neben mir. „Was das sein soll.“
Ich werde neugierig. „Ja, aber ich hab davon noch nie gehört“, sagt einer der beiden Männer, die ihr gegenüber sitzen. Mir sitzt nur eine Frau mit vier großen Einkaufstüten gegenüber.
„Was soll das denn bitte sein?“ fragt der Mann. „Aufbackbrot?“ Er betont es überdeutlich, fast schon abwertend. Als würde es albern klingen.
„Keine Ahnung, aber nachher denkt die, wir sind bescheuert, wenn wir das nicht kennen. Ich hab das doch auch noch nie gehört!“
Ich hab das auch noch nie gehört, denke ich. Aufbackbrot. Was soll das sein? Aufbackbrötchen, ja, die kenne ich. Aber Aufbackbrot?
„Vielleicht ist das ja wie Aufbackbrötchen.“, sagt die Frau „Nur halt Brot zum Aufbacken“
„Ach“, sagt der Mann abfällig und verdreht die Augen. „Das habe ich aber noch nie gesehen“. Ich hab das auch noch nie gesehen, denke ich. Aufbackbrot.
Der andere Mann schaut nur mit hochgezogenen Augenbrauen zwischen den beiden hin und her. Wieso habe ich das noch nie gesehen? Also Aufbackbrot. Aufbackbrötchen gibt’s doch auch. Wieso nicht Aufbackbrot? Oder habe ich das nur einfach noch nie im Supermarkt gesehen? Und wieso hat mir das bis heute nie gefehlt? Brötchen, die sind aufgebacken doch super. Da kommt man auch von selber drauf. Aber Brot? Ich hatte noch nie Lust darauf, ein Brot aufzubacken. Zu backen vielleicht, aber AUFzubacken? Gibt’s das überhaupt, Aufbackbrot? Wäre das gut? Die Frau neben mir sagt nur „Naja egal. Aber komisch ist das schon.“ Ja, komisch ist das mit dem Aufbackbrot. Aber ich weiß nicht, was komischer wäre. Dass es kein Aufbackbrot gibt, obwohl es Aufbackbrötchen gibt; Dass es Aufbackbrot gibt, aber weder ich noch die drei züfällig neben mir sitzenden Personen je davon gehört haben; Oder dass nie jemand darüber nachdenkt, ob es Aufbackbrot gibt.
Aufbackbrot, denke ich wieder. Gibt es das? Es gibt doch auch Aufbackbrötchen. Sonntags Brötchen aufbacken, das kennt man. Aber Brot aufbacken? Davon habe ich noch nie gehört. Ich überlege wieder, ob das gut wäre. Ich kann es mir nicht vorstellen. Plötzlich habe ich Angst, dass ich Aufbackbrot will und es das dann gar nicht gibt.
Ich google.
Ich finde Aufbackbrot.
Glutenfreies.
Aber so richtiges normales Aufbackbrot? Aufbackbrötchen, ja, die finde ich. Aber Aufbackbrot? Eins habe ich gefunden. Das glutenfreie. Google korrigiert meine Suchanfrage nicht. Fragt nicht, ob ich Aufbackbrötchen meinte. Google kennt Aufbackbrot. Ich nicht. Es zeigt mir aber Brötchen an. Und das glutenfreie Aufbackbrot.
Aufbackbrot, denke ich wieder. Wieso gibt es davon so wenig? Vielleicht, denke ich, weil nie jemand wirklich darüber nachgedacht hat.

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